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Annika Rockenberger

Bergische Universität Wuppertal

Ist Edition ein Kanonisierungsfaktor? – Bemerkungen zum Verständnis der Fragestellung

Bio

Jahrgang 1982, Studium der Fächer Neuere Deutsche Literatur, Neuere Geschichte, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Editionswissenschaft an der Freien Universität Berlin. 2010 Magister Artium (M.A.) mit einer Arbeit über Drucküberlieferung und Textedition – Eine analytische Untersuchung am Beispiel von Sebastian Brants ‘Das Narrenschiff’. Seit 2011 transdisziplinäres Dissertationsprojekt zu “Georg Greflinger (ca. 1620–1677) – Eine exemplarische Fallstudie zur Interrelation schriftstellerischer Praxisformen und deren Situierung im Literaturbetrieb des 17. Jahrhunderts” an der Bergischen Universität Wuppertal. Gründungsmitglied der interdisziplinären freien Arbeitsgruppe Berlin Digital Humanities.

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Abstract

Die als Vortragstitel gewählte Frage wird in der neugermanistischen Philologie gemeinhin mit einem ‚Ja‘ beantwortet. In der „Einführung in die Wertung von Literatur“ (1996) von Renate von Heydebrand und Simone Winko etwa findet sich die These: „Publikation an sichtbarer und qualifizierter Stelle, möglichst in gut gegliederten Gesamtausgaben, ist eine Wertungshandlung, die den Weg zum Erfolg eröffnet und ein Stück weit präjudiziert.“ Im Diskurs der Editionswissenschaft finden sich noch weiterreichende Aussagen. Im bislang einzigen (halbwegs) systematischen Beitrag zum Thema kommt Stephan Kammer (2000) zur Einschätzung, dass „Editionen kanonisierende Effekte haben können“ und „Editionsprojekte unterschiedlichen Typs wiederholt die Kanonisierung von Autoren resp. Texten initiiert haben, ohne auf eine generelle kulturelle Verbindlichkeit ihres Gegenstands zurückgreifen zu können“. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt 2003 auch Winfried Woesler: „Bei den Kanonisierungsprozessen in der Literatur und auch bei der Hierarchisierung innerhalb des Kanons spielen Ausgaben eine zentrale Rolle.“ Doch auch einzelnen Editionsbestandteilen wird eine kanonbildende Funktion zugestanden; so spricht etwa Hans Ulrich Gumbrecht in „Die Macht der Philologie“ (2003) von einer „Kanonisierung durch Kommentare“. In einem den aktuellen Diskussionsstand zusammenfassenden Überblicksartikel von 2008 weist schließlich Rüdiger Nutt-Kofoth der Edition die Funktion zu, den „Kanon von Literatur mitzusteuern.“ Die Sache scheint demnach ausgemacht: Editionen sind ein wirkmächtiger Kanonisierungsfaktor, das Fragezeichen im Vortragstitel wäre demnach zu tilgen. Mit der prima-facie-Evidenz dieser optimistischen Einschätzung scheint indes folgender Hinweis Nutt-Kofoths (2008) nicht recht zusammen zu passen: „Die Mechanismen des Kanonbezugs, nach denen Editionen veranstaltet werden, oder Wirkungen der Editionen auf den Kanon sind bisher nicht systematisch untersucht wie auch die Einflüsse solcher editorischer Entscheidungen auf die Wahrnehmung von Literaturgeschichte bisher relativ unbekannt sind.“ Ungeachtet der hohen Anfangsplausibilität der zur Kanonrelevanz von Editionen vorgebrachten Thesen, fehlt zu ihrer Prüfung und Bestätigung bislang also das empirische Fundament. Auch ich werde im Rahmen eines kurzen Vortrags keine – und sei es exemplarische – empirische Rekonstruktion des Zusammenhangs zwischen Kanon und Edition vorlegen können. Statt dessen möchte ich mich auf einige grundlegendere Überlegungen beschränken. Ich gehe von der Annahme aus, dass man eine Frage, will man sie auf befriedigende Weise beantworten, zuallererst verstanden haben muss. Meiner Einschätzung nach ist aber gerade diese einfache Bedingung im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Entsprechend versuche ich, (1) die im Vortragstitel genannte literatursoziologisch-kulturgeschichtliche Frage heuristisch im Rahmen verschiedener Erklärungsansätze zu verorten, um hiervon ausgehend (2) zu einer präziseren und empirischer Prüfung zugänglicheren Reformulierung derselben zu gelangen. Ich stelle die Frage dabei primär in systematisch-theoretischer Absicht und was mich zuallererst interessiert, ist ein besseres Verständnis der Frage selbst. Zwar werden die Antworten, die sich auf diesem Weg vielleicht erschließen lassen, eher genereller als konkreter und eher formaler als inhaltlicher Art sein, möglicherweise aber wird die hierbei angestrebte terminologische und sachliche Klärung einige Anhaltspunkte auch für künftige empirische Arbeit bieten.

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