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Nina Nowakowski

Georg-Augst-Universität Göttingen

Lost in Translation. Zum Verlust der Sinnvielfalt in Übersetzungen und Editionen von Strickers ‘Klugem Knecht’

Bio

  • Seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Deutsche Philologie (Abteilung für Mediävistik) der Georg-Augst-Universität Göttingen bei Prof. Dr. Elke Koch
  • 2009 Magistra-Abschluss
  • Studium der Älteren deutschen Literatur und Sprache, Neueren deutschen Literatur und Soziologie an der Freien Universität Berlin
  • Arbeitsschwerpunkte: Spätmittelalterliche Kurzerzählungen, Schwank, Narratologie
  • Mitglied der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen

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Abstract

Der geplante Tagungsbeitrag will dafür plädieren, den Prozess des Übersetzens nicht nur als Hilfsmittel zu verstehen, um Texte in anderen Sprachstufen oder Sprachen zugänglich zu machen, sondern als editorische Technik zu konzeptualisieren, die Textsinn (re-)produzieren und dabei auch Varianz auf der semantischen Ebene des Textes abbilden kann. Mit Blick auf neuere Ausgaben der mittelhochdeutschen Kurzerzählung „Der kluge Knecht“ des Strickers soll gezeigt werden, wie Übersetzungen (vom Mittelhochdeutschen ins Neuhochdeutsche) eine Reduktion der Sinnvielfalt erzeugen und den Text „zähmen“. Einerseits erlauben Ausgaben mittelhochdeutscher Kurzerzählungen, insbesondere wenn sie Übersetzungen ins Neuhochdeutsche bereitstellen, eine verstärkte Kenntnisnahme und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser marginalisierten Gattung. Andererseits werden von vielen Übersetzungen die heterogenen Sinnpotentiale der Kurzerzählungen zugunsten einer die Exemplarizität der Texte betonenden Lesart ignoriert. Dies gilt vor allem für die Kurzerzählungen des Strickers, denen oft eine moralisch-exemplarische, auf die Vermittlung eines festen Sinns oder einer Ordnung zielende Ausrichtung attestiert wird. Obwohl jüngere Forschungsarbeiten auf die Komplexität der Stricker-Mären hinweisen und deren einseitige exemplarische Funktionalisierung bestreiten, prägt die ältere exemplarisch-moralische Lesart weiterhin die Wahrnehmung der Kurzerzählungen des Strickers, weil sie in den Übersetzungen verankert ist. Es soll herausgearbeitet werden, dass die verbreitete exemplarisch-moralische Lesart der Stricker-Mären auf Verfahren der Varianzreduktion beruht, die von der Editionspraxis auf Übersetzungstexte übergeht. Übersetzungen beziehen sich vielfach auf bereits bestehende Editionen, die Überlieferungsvarianten ausblenden und dieser Vereindeutigungsmechanismus wird im Übersetzungsprozess auf die semantische Ebene ausgeweitet: Die Erzählung vom „Klugen Knecht“ wird vom Leitbegriff der „gevüegen kündikeit“ strukturiert, der zumeist auf einen moralischen Sinn reduziert und als „schickliche Klugheit“ (Grubmüller) verstanden und übersetzt wird. Auf der Basis einer zirkulären Verschaltung von Übersetzung und Interpretation wird der Begriff in der Forschung über die Grenzen des Einzeltextes hinaus als Erzählprogramm für alle Stricker-Mären verstanden. Die dabei ausgeblendete Polysemie des Begriffs der „gevüegen kündikeit“ möchte der Beitrag erschließen, um die Sinnvielfalt der Erzählung zu verdeutlichen.


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